"Living Lab" macht Walldorf zum Schaufenster der Energiewende
Pilotprojekt verbindet dezentrale Energien und IT-Technologien
- Haushalte werden zu intelligenten Energiesystem vernetzt.
- Test von Innovationen im Strommarkt: Regenerative Energien besser einbinden und Infrastrukturkosten gerechter verteilen.
- Umweltministerium Baden-Württemberg fördert Projekt über drei Jahre mit einer Mio. Euro.
- Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft
Die baden-württembergische Stadt Walldorf wird zum Schaufenster der Energiewende. Im Laufe des dreijährigen Forschungs- und Entwicklungsprojekts "Living Lab Walldorf" sollen ca. 40 Haushalte und Gewerbebetriebe in Walldorf mit intelligenter Technologie vernetzt werden, um dezentrale Energieanlagen wie Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen, Blockheizkraftwerke und Stromspeicher optimal aufeinander abgestimmt zu betreiben.
Projektpartner sind die beiden Innovationsunternehmen BEEGY (Mannheim) und KEO (Köln) in Zusammenarbeit mit dem Mannheimer Energieunternehmen MVV Energie, den Stadtwerken Walldorf, sowie dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem FZI Forschungszentrum Informatik. Das Umweltministerium Baden-Württemberg bewilligte den Projektstart zum 1.12.2015 und fördert das Projekt im Rahmen seines BWPLUS Programms mit rund einer Mio. Euro über drei Jahre.
Dezentrale Stromversorgung im Praxistest
"Ziel des Living Lab Walldorf ist es, die Zukunft einer dezentralen Stromversorgung aus erneuerbaren Energien in der Praxis pilothaft umzusetzen, gemeinsam mit allen Beteiligten zu optimieren und zu bewerten", erklärt Dr. Christian Feißt, Geschäftsführer der BEEGY GmbH, die das Projekt koordiniert. "Die Ergebnisse helfen der Politik bei der Ausgestaltung zukünftiger Rahmenbedingungen und sie bilden die Grundlage für neue Geschäftsfelder der beteiligten Unternehmen und für interessante Produkte für die Kunden."
Die Pilotgebäude in Walldorf bilden eine Energie-Community: eine Gemeinschaft von Stromproduzenten und Stromkonsumenten, deren Rolle dynamisch wechselt. Basierend auf selbstlernender Software steuert intelligentes Energiemanagement den effizienten Austausch von Strom innerhalb der Pilotcommunity und darüber hinaus. So entsteht ein dezentrales Netzwerk, das regenerative Energien optimal einbindet und vorzugsweise vor Ort nutzbar macht. Unterstützend wird ein neuer Stromspeicher mit 100 kWh Kapazität (Lithium-Ionen-Technologie) in das Energiesystem des Quartiers technologisch eingebunden.
FZI-Projektleiter Prof. Hartmut Schmeck stellt die aktive Rolle der Haushalte und Gewerbebetriebe in den Vordergrund: "Die stark verteilte und daher bisher nur geringfügig erschlossene Flexibilität kann mit dezentralen Koordinationsmechanismen optimal ausgeschöpft werden und ermöglicht uns auch hohe Anteile erneuerbarer Energien kostengünstig und sicher zu integrieren. Effiziente Algorithmen in einer hierarchischen Optimierungs- und Kommunikationsstruktur garantieren dabei Robustheit sowie Ressourcen- und Datensparsamkeit zugleich." Insbesondere kann ein solcher Verbund aus flexiblen Energieanlagen auch Schwankungen bei der Erzeugung regenerativer Energien ausgleichen. "Eines der Ziele des Living Lab ist es daher, Software zur Steuerung und Optimierung von Virtuellen Kraftwerken und ihren Einzelkomponenten weiterzuentwickeln und das schon vorhandene smarte Potential nochmals zu steigern", meint Peter Kellendonk, Geschäftsführer der KEO GmbH. Dann können verstärkt in Zeiten von Stromüberschüssen, beispielsweise an einem windigen Sommertag mit hohen Erträgen aus Photovoltaik und Windkraft, die Strom- und Wärmespeicher in den Gebäuden gefüllt werden. Die interoperable und intelligente Vernetzung durch den EEBus, ermöglicht es die Potenziale aller relevanten Geräte in den Häusern einzusammeln und für das dezentrale Netzwerk zur Verfügung zu stellen, so Kellendonk.
Enge Einbindung der Walldorfer Bürger
"Im Zentrum unserer Arbeit stehen die Bürgerinnen und Bürger mit dem Ziel, ihnen sowohl bezüglich Wohnkomfort und Nachhaltigkeit als auch in finanzieller Hinsicht einen langfristigen Mehrwert zu bieten", sagt Matthias Gruber, Geschäftsführer der Stadtwerke Walldorf. Auch für den Leiter "Innovation und Customer Experience" von MVV Energie, Dr. Holger Krawinkel, ist ein intensiver Dialog dabei der Schlüssel zum Erfolg: "Wir gestalten die Schwerpunkte und die inhaltliche Ausrichtung nach den Interessen und Bedürfnissen der beteiligten Projekthaushalte. Die ersten Foren zur Bürgerbeteiligung planen wir für Frühjahr 2016".
Neue Regeln für den Strommarkt
Eine wichtige Rolle kommt dem Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion (IIP) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zu, das die Beobachtungs- und Messergebnisse aus dem Feldtest direkt in die energiewirtschaftliche Modellierung einfließen lässt. KIT-Projektleiter Prof. Wolf Fichtner: "Im Rahmen der Simulation werden im Pilotgebiet einige Regeln des Strommarkts, wie Netzgebühren, außer Kraft gesetzt und neue Ansätze zur Abrechnung und Marktregulation ausprobiert." Welche Innovationen das Projekt bereithalten kann, davon hat er bereits eine klare Vorstellung: "Die Höhe von Strompreisen könnte sich künftig unter anderem an der maximal bezogenen Leistung eines Haushalts orientieren – entgegen der bestehenden Praxis, dass verbrauchte Strommengen abgerechnet werden. Ganz ähnlich wie es bei Telefon- oder Internet-Datentarifen schon längst üblich ist."