Die "Gretchenfrage" der Präsenz
Unternehmenstag "Erfolgsfaktor Familie" in Berlin / Homann: EVO bietet mehr als 20 Teilzeitmodelle
"Flexible Arbeitszeiten sind der Schlüssel für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf". Diese Auffassung hat dieser Tage Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Haus der Deutschen Wirtschaft beim "Unternehmenstag 2011" in Berlin vertreten. Wie eine flexible und familienorientierte Arbeitsorganisation in der Praxis gestaltet werden kann, darüber berichtete Michael Homann, Vorstandsvorsitzender der Energieversorgung Offenbach AG (EVO). Nach seinen Worten bietet die EVO ihren Beschäftigten mehr als 20 Teilzeitmodelle an. In seinem Unternehmen könnten im Übrigen auch Führungskräfte Elternzeit nehmen ¿ und das "ohne Karriereknick".
Ministerin Schröder und EVO-Manager Homann sprachen vor mehr als 400 geladenen Gästen zur Frage, was einen familienfreundlichen Arbeitgeber auszeichnet und welche Herausforderungen die Unternehmen in Zukunft meistern müssten. An der Debatte unter dem Motto "Zur richtigen Zeit am richtigen Ort" beteiligten sich zudem etwa Hans Dietrich Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), sowie die Arbeitszeitexpertin Jutta Rump, Professorin an der Fachhochschule in Ludwigshafen. Veranstaltet wurde die Tagung vom Unternehmensnetzwerk "Erfolgsfaktor Familie", einer gemeinsamen Initiative des Familienministeriums und des DIHK. Die EVO war bereits im Jahr 2010 von der Ministerin als "Vorbild für andere Unternehmen und zeitgemäßer Arbeitgeber" gewürdigt worden.
Ministerin Schröder kritisierte die Arbeitszeitregelungen in vielen Firmen, da sie den Bedürfnissen und Wünschen der jungen Familien nicht entsprächen. Die Geburt eines Kindes dürfe nicht dazu führen, dass Frauen bei der Karriere aufs "Abstellgleis" geschoben werden. Junge Mütter könnten zwar oftmals nicht mehr eine Vollzeitstelle ausfüllen, wünschten sich aber mehr als nur einen Halbtagsjob. Zudem wollten viele Männer mit kleinen Kindern weniger als zuvor arbeiten. Die Lösung seien mehr Arbeitszeitmodelle zwischen 20 und 40 Stunden in der Woche, urteilte die Bundesfamilienministerin. Ausführlich ging sie auf die "Gretchenfrage" der Präsenz ein: Ihrer Meinung nach ist es nicht notwendig, dass etwa Führungskräfte immer im Büro erreichbar seien. Viel wichtiger ist es laut Schröder, dass Führungskräfte Entscheidungen treffen könnten ¿ wo auch immer sie sich befänden.
DIHK-Präsident Driftmann warb dafür, das Reservoir an gut ausgebildeten Frauen besser zu nutzen. Dafür müssten Firmen ein "Höchstmaß an Flexibilität" unter Beweis stellen. Frauen verfügten über besondere Begabungen und könnten langfristige Schwierigkeiten in aller Regel leichter als Männer bewältigen. Wie die Bundesfamilienministerin sprach er sich gegen die ¿Präsenzkultur¿ aus, die er als ¿Modell der Vergangenheit¿ bezeichnete. "Wer diszipliniert und konzentriert arbeitet, der braucht auch einen zeitlichen Abschluss."
Die EVO hat nach Einschätzung ihres Vorstandsvorsitzenden Homann gute Erfahrungen mit flexiblen Arbeitszeitmodellen gesammelt. Als Beispiel nannte er die flexiblen Schichtmodelle in den Kraftwerken des Unternehmens. "Diese Modelle haben wir gemeinsam mit unseren Mitarbeitern erarbeitet und ihre Bedürfnisse aufgenommen, weshalb die Lösung auch zu hundert Prozent mitgetragen wird."
Bereits heute befänden sich die Unternehmen im Wettbewerb um gute Mitarbeiter, machte Homann deutlich und führte aus: "Insbesondere junge Leute fordern Flexibilität." Die EVO habe daher die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zur Chefsache gemacht und in den vergangenen Jahren unter anderem an einer betrieblichen Kinderbetreuung gearbeitet. Eine gemeinsame Kita mit dem Arbeiter-Samariter-Bund und Siemens auf dem Betriebsgelände der EVO solle noch in diesem Herbst offiziell eröffnet werden.
Telearbeit allein ist laut Homann nicht die Lösung: "Arbeit ist auch Kommunikation. Dabei muss man sich sehen und man muss sich treffen. Viele wollen und müssen daher im Büro sein. Aber wir müssen Arbeit auch mobil und von zu Hause aus ermöglichen."
Jutta Rump von der Fachhochschule Ludwigshafen ließ keinen Zweifel daran, dass "ausschließlich männliche Karrieremodelle" mit dem Mann als Versorger der Familie keine Zukunft haben. Mann und Frau würden innerhalb der Familie mehr und mehr gleichberechtigt, was auch zu neuen Arbeitszeitmodellen führen werde. "Wir müssen mit einer längeren Lebensarbeitszeit, höherer Komplexität und verschärftem Wettbewerb im Betrieb leben", sagte die Professorin. "Ohne eine bessere Balance von Beruf und Familie sind diese Anforderungen nicht zu bewältigen."