Eine gute Idee?
Wie das E-Auto zum Stromerzeuger wird
Im Unterschied zu reinen Verbrennern können E-Autos nicht nur Energie tanken, um sich fortzubewegen, sie können auch Strom abgeben, um andere Geräte, Haushalte oder sogar das öffentliche Stromnetz zu unterstützen. Die Möglichkeit klingt vielversprechend. Aber wie realistisch ist das? Was sind die Voraussetzungen und kann ich als Besitzer eines Elektroautos damit sogar Geld verdienen?
Warum macht es Sinn, ein E-Auto als Speicher zu nutzen?
Die Idee hat Größe und viel Potenzial, auch wenn in der Umsetzung noch viel „Zukunftsmusik“ steckt. Technologisch ist sie schon heute machbar. Mittlerweile verfügen viele E-Autos über ziemlich leistungsfähige Akkus. Aber wie alle anderen Fahrzeuge sind sie nicht ununterbrochen im Einsatz, sondern verbringen rund 90 % ihrer Zeit damit zu parken. Als Batterie auf Rädern haben sie also die Möglichkeit, ihre Energie auch für andere Aufgaben zu nutzen.
Drei Beispiele:
- Das eigene E-Auto kann Hausbesitzer*innen dabei unterstützen, den Energiebedarf des Eigenheims bei Verbrauchsspitzen oder Versorgungslücken zu ergänzen – mit der gespeicherten Energie, die in der Garage parkt.
- Es kann als Pufferspeicher für diejenigen eingesetzt werden, die mit ihrer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach selbst Strom erzeugen und davon nicht gleich alles verbrauchen.
- Außerdem könnte das E-Auto einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten. Nämlich dann, wenn wir jedes einzelne Fahrzeug als Teil einer großen E-Fahrzeugflotte betrachten, als sogenannten Schwarmstromspeicher, der letzten Endes die Schwankungen ausgleicht, die bei der Erzeugung erneuerbarer Energien (viel Wind/wenig Wind, viel Sonne/wenig Sonne) notwendigerweise entstehen.
Im E-Auto stecken also viel mehr Fähigkeiten als der lokal emissionsfreie Transport von Personen und Gegenständen von A nach B. Darin liegt ein weiterer Vorteil des E-Autos gegenüber der Verbrenner-Konkurrenz.
Kann jedes E-Auto zum Stromerzeuger werden?
Bis jetzt noch nicht. Technische Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit des bidirektionalen Ladens. Der Strom muss nämlich in beide Richtungen fließen können, von der Ladestation ins Auto, und vom Auto zurück in die heimische Ladestation oder das öffentliche Netz. Das klingt erstmal einfach, ist es aber doch nicht. Denn es arbeiten unterschiedliche „Stromarten“ im Fahrzeug und im Netz. Während die E-Autobatterien nur mit Gleichstrom funktionieren, kommt aus der Steckdose Wechselstrom. Selbst bei unidirektionalem Laden, von der Ladestation ins Auto, müssen per Wechselrichter die Verhältnisse erstmal angepasst werden. Ein Vorgang, der beim bidirektionalen Laden auch wieder umgekehrt werden muss. Sonst kann die Energie nicht zurückgegeben werden. Dazu sind im Augenblick noch erstaunlich wenige E-Fahrzeuge in der Lage. Was allerdings keine Frage des technischen Know-hows ist. Das ist überall vorhanden. Viel eher sind unterschiedliche Entwicklungsrichtungen in den Unternehmen und Märkten dafür verantwortlich, dass nicht einmal 10 % der aktuell angebotenen E-Auto-Modelle bidirektional laden können. Mittlerweile machen die Hersteller, die hier etwas Verspätung haben, allerdings verstärkt Boden gut.
Welche Komponenten müssen noch für bidirektionales Laden ausgelegt sein?
Wer sich für die Idee vom mobilen Stromspeicher ernsthaft interessiert, darf nicht nur ans Fahrzeug denken: Die komplette elektrische Infrastruktur muss dafür ausgelegt sein: Die öffentlichen Ladesäulen, die privaten oder firmenbetriebenen Wallboxen, die Ladekabel und Anschlüsse. Man kann davon ausgehen, dass dies heute nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist, auch wenn mittlerweile viele „Marktteilnehmer“, wie Automobilhersteller, Energieunternehmen und etliche Startups, daran arbeiten. Das Ziel sind intelligente Stromnetze, die sogenannten Smart Grids, die nicht nur Strom hin- und herschicken, sondern auch die entsprechenden Daten dazu verarbeiten können. Da geht es zum Beispiel auch um die Frage, wieviel Strom das Auto ins Netz abgeben darf, ohne seine eigenen Reserven zu stark anzutasten – schließlich wäre es wenig sinnvoll, gerade dann einen leeren Akku zu haben, wenn man ins Auto springen und losfahren will. Außerdem müssen die Entgelte berechnet werden können, die dem Besitzer fürs Zurückspeisen der Energie ins Netz zustehen. Dahinter stehen dann wieder regulatorische Fragen, die zur Netzintegration von Elektromobilität gehören. Hier ist eine rege Diskussion im Gange, aber längst noch nicht alles umfassend spezifiziert. Normative Festlegungen könnten hier mehr Sicherheit schaffen, allerdings müssen sie sich auch erstmal durchsetzen.
Welche Rolle spielt die ISO-Norm 15118?
Nach etwas zähem Start hat sich die Elektromobilität zu einem äußerst dynamischen Spielfeld mit unterschiedlichen Entwicklungsstandards entwickelt. Was heute noch maßgeblich erscheint, kann morgen buchstäblich schon von gestern sein. Das immer noch breite Angebot an unterschiedlichen Ladekabeln und Anschlüssen charakterisiert das Problem. Das Bemühen um eine neue Norm, die Klarheit und Vertrauen schafft, ist da logisch und begrüßenswert. Die neue ISO-Norm 15118 definiert einen internationalen Standard für die bidirektionale Kommunikation zwischen E-Auto und öffentlicher Ladesäule. Ziel ist es, den Ladevorgang (in beide Richtungen) möglichst einfach und komfortabel zu gestalten. Motto: Plug & Charge.
An einer ISO 15118-zertifizierten Ladesäule wird das Fahrzeug in Zukunft automatisch identifiziert und autorisiert. Jetzt kann sich das Auto sogar selbst den besten/günstigsten von den im System hinterlegten Tarifen aussuchen. Auch eine Funktion, die das bidirektionale Geben und Nehmen des Stroms zwischen dem Fahrzeug und der Ladesäule/dem Netz steuert, ist dann Teil des Angebots. Damit sind dann die Voraussetzungen für „Vehicle-to-Grid“ (V2G), das Zurückspeisen des Stroms vom Auto ins Netz, gegeben.
Mit der Implementierung von ISO 15118 in den Markt seit diesem Jahr nimmt die Idee vom E-Auto als Stromspeicher weiter an Fahrt auf. Eine Marktdurchdringung des neuen Standards bedeutet das aber noch nicht.
Kann ich mit meinem E-Auto als Stromspeicher Geld verdienen?
Auch dieser relevante Aspekt ist vor allem noch ein Zukunftsthema. Trotzdem kommen viele seriöse Studien zu dem Ergebnis, dass für private E-Autobesitzer*innen das Fahrzeug eine echte Einnahmequelle sein kann. Berechnungen gehen von einem Potenzial von mehreren hundert Euros pro Fahrzeug und Jahr aus! Von 450 bis 650 Euro reichen die Schätzungen.
Fazit
Das E-Auto als Stromspeicher und die Netzintegration von Elektromobilität sind faszinierende Ideen, die ihren Weg machen werden. Vor allem, wenn man das „größere Bild“ (sprich: Energiewende) in den Blick nimmt. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist die Idee sogar zwingend. Eine Sichtweise, die sich auf allen Ebenen vermehrt durchsetzt. So gesehen lohnt es sich, als Interessent*in eines E-Autos nicht nur nach Reichweite oder Förderprämien zu fragen, sondern sich auch nach der Fähigkeit zum bidirektionalen Laden zu erkundigen.